§ 70
Abschluss von Dienstvereinbarungen und Vorrang von Tarifverträgen

(1) Dienstvereinbarungen sind zu allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Angelegenheiten zulässig, soweit gesetzliche oder tarifliche Regelungen nicht entgegenstehen. Sie dürfen keine personellen Einzelmaßnahmen zum Gegenstand haben. Dienstvereinbarungen sind unzulässig, soweit sie Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen betreffen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden; die gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag ergänzende Dienstvereinbarungen ausdrücklich zulässt oder vorsieht. Die §§ 61 bis 64 finden keine Anwendung.

(2) Dienstvereinbarungen werden von der Dienststelle und dem Personalrat schriftlich geschlossen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen und von der Dienststelle in geeigneter Weise bekannt zu machen.

(3) Dienstvereinbarungen, die für einen größeren Bereich gelten, gehen den Dienstvereinbarungen für einen kleineren Bereich vor.

Vergleichbare Vorschriften: § 73  i.V.m. §§ 75 Abs. 3, 76 Abs. 2 BPersVG; § 88 BetrVG

Erläuterung:

1 Vorbemerkung:

Dienstvereinbarungen, als Gegenstück zu Betriebsvereinbarungen, sind schuldrechtliche Verträge, die grundsätzlich als schriftliche Vereinbarung zwischen Dienststellenleitung und dem Personalrat zustande kommen. Sie schaffen unmittelbar geltendes Recht für alle im Geltungsbereich erfassten Beschäftigten (normativer Charakter). Für die bindende Wirkung der Regelung einer Dienstvereinbarung ist kein weiterer Umsetzungsakt wie eine vertragliche Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer oder Arbeitgeber erforderlich. Dienstvereinbarungen sind ein Instrument der Mitbestimmung und somit ein wichtiges Gestaltungsmittel des Personalrates. Zeitweilige, in ihrem Sachverhalt einfach gelagerte Angelegenheiten können auch in einer Regelungsabrede vereinbart werden. Im Unterschied zur Dienstvereinbarung bedürfen sie nicht ausdrücklich der Schriftform und enthalten keine Rechtsnorm. Dienstvereinbarungen beinhalten kollektive Angelegenheiten der Mitbestimmung, die ansonsten im Beteiligungsverfahren einzeln zu regeln wären. Sie sind vorweggenommene Mitbestimmung (BVerwG vom 1.11.83 - 6 P 28.82 -, PersV 85,473, PersR 84,64). Für alle gegenwärtigen und künftigen in einer Dienstvereinbarung geregelten Fällen ist das Mitbestimmungsrecht damit abgegolten (BVerwG vom 8.7.83 - 6 P 1.81-, PersV 85,65 und vom 26.3.86- 6 P 38.82 -, PersV 86,510 = PersR 86,220 Ls.). Ein einzelner Mitbestimmungsfall kann Anlass sein, die zugrunde liegende Maßnahme auch in einer Dienstvereinbarung übergreifend zu regeln. Zur rechtlichen Durchsetzung der vereinbarten Regelungen der Dienstvereinbarung siehe § 78.

Absatz 1

2 Dienstvereinbarungen sind zu allen personellen, sozialen und sonstigen innerdienstlichen Angelegenheiten zulässig; eine inhaltliche Beschränkung auf bestimmte Mitbestimmungstatbestände entfällt damit. Die Regelungsinhalte zu den jeweiligen Tatbeständen unterliegen, wie im Rahmen der allgemeinen Mitbestimmung, einem gesetzlichen oder tariflichen Vorbehalt (siehe hierzu § 65). Demnach sind Dienstvereinbarungen ungültig, wenn sie gegen ein Gesetz oder Tarifvertrag verstoßen.

3 Dienstvereinbarungen dürfen keine personellen Einzelmaßnahmen zum Gegenstand haben . Einzelmaßnahmen können nur dann Gegenstand einer Dienstvereinbarung sein, wenn sie einen kollektiven Charakter aufweisen. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn eine allgemeine Regelung im konkreten Fall nur einen einzelnen Beschäftigten betrifft (vergl. auch BAG vom 21.12.82- 1 ABR 14/81- AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).

4 Unzulässig sind Regelungen, die Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen betreffen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Ausnahme hiervon sind tarifliche Öffnungsklauseln zum Abschluss von ergänzenden Dienstvereinbarungen. Zum Beispiel Arbeitszeitkorridor, Rahmenarbeitszeit, § 6 TV-L, Arbeitszeitkonten, § 10 TV-L, sowie Leistungsentgelte, § 18 TVöD. Solche Dienstvereinbarungen können nur den durch Tarifvertrag vorgegebenen Rahmen ausfüllen. Für Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen ist das Günstigkeitsprinzip außer Kraft gesetzt. Nach dem Günstigkeitsprinzip können grundsätzlich in einer Dienstvereinbarung für den Arbeitnehmer bessere Bedingungen geregelt werden als der Tarifvertrag vorsieht. Das Gesetz sieht hier vor, dass die Regelung von Arbeitsentgelten und sonstigen Arbeitsbedingungen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden vorbehalten ist. Das gilt auch, wenn der entsprechende Tarifvertrag zeitweilig nicht in Kraft ist oder nur nachwirkt. Ausreichend ist, dass diese Arbeitsbedingungen üblicherweise durch Tarifvertrag geregelt werden.

5 Die §§ 61 bis 64 finden bei Dienstvereinbarungen keine Anwendung. Diese Bestimmung muss einschränkend dahin ausgelegt werden, dass die §§ 61 bis 64 dann keine Anwendung finden, wenn eine Dienstvereinbarung abgeschlossen werden soll, ohne dass es ein Mitbestimmungsrecht nach den §§ 65 bis 69 zu den zu beabsichtigten Regelungsinhalten gibt. Eine andere Auffassung würde zu einer tatsächlich nicht möglichen Trennung von Mitbestimmungsverfahren und Dienstvereinbarung führen. Beantragt z.B. der Personalrat den Abschluss einer Dienstvereinbarung zu einer Arbeitszeitregelung, bedeutet dies auch gleichzeitig die Wahrnehmung des Initiativrechts nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 61 Abs. 4. Auch wenn bei Dienstvereinbarungen das Nichteinigungsverfahren nicht stattfindet, wird das Verfahren nach §§ 61 bis 64 im Mitbestimmungsverfahren durchgeführt. Im Nichteinigungsfall entscheidet die Einigungsstelle. Die Entscheidung der Einigungsstelle bindet nach § 62 Abs. 5 die beteiligten Parteien, so dass sie de facto die Wirkung einer Dienstvereinbarung entfaltet.

6 Es gibt also nach wie vor erzwingbare Regelungen dort, wo es ein Mitbestimmungsrecht gibt. Darüber hinaus können fast unbegrenzt Dienstvereinbarungen abgeschlossen werden, die aber nur bei Einvernehmen beider Seiten zustande kommen.

7 Sowohl von Seiten des Personalrates als auch von der Dienststellenleitung kann die Initiative zum Abschluss einer Dienstvereinbarung ausgehen.

Eine Dienstvereinbarung kann im Rahmen der vereinbarten Kündigungsfrist durch die Beteiligten gekündigt werden. Fehlt eine Kündigungsfrist, so kann sie durch den Personalrat oder die Dienststellenleitung jederzeit gekündigt werden (BAG vom 5.5.88-6 AZR 521/85-, PersR 84,17). Eine fristlose Kündigung bei vereinbarter Kündigungsfrist ist nur möglich, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen der Betroffenen Gründe vorliegen, die ein Fortbestehen der Dienstvereinbarung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar erscheinen lassen.

9 Weiter enden Dienstvereinbarungen

  • durch Abschluss einer neuen Dienstvereinbarung, die die bisherige ersetzt. Dies gilt auch, wenn die neue Regelung ungünstiger ist als die alte (vergl. BAG vom 22.5.90- 3 AZR 128/89-, AuR 90,330),
  • durch einen Aufhebungsvertrag als übereinstimmende Willenserklärung von PR und Dienststellenleitung. Die Form einer solchen Vereinbarung ist dieselbe wie für den Abschluss einer Dienstvereinbarung,
  • durch Fristablauf,
  • durch Abschluss einer vorrangigen Dienstvereinbarung, die für einen größeren Bereich gilt (siehe Absatz 3).

10 Dienstvereinbarungen enden auch, wenn ein Tarifvertrag abgeschlossen wird, der den gleichen Tatbestand regelt und eine Öffnungsklausel für eine ergänzenden Dienstvereinbarung nicht vorsieht (OVG Lüneburg vom 19.1.83- P OVG L3/82).

11 Ein Wechsel des Rechtsträgers unter Fortbestand der Dienststelle beendet die vorhandenen Dienstvereinbarungen dieser Dienststelle nicht.

12 Eine Dienstvereinbarung endet auch nicht durch den Wechsel des Dienststellenleiters oder durch die Neuwahl des Personalrates.

13 Bei Abschluss einer Dienstvereinbarung kann die Nachwirkung gesondert vereinbart werden. Dies bedeutet, dass die normativen Regelungen einer abgelaufenen Dienstvereinbarung solange weiter gelten, bis sie durch den Abschluss einer neuen ersetzt werden.

14 Mit Beendigung einer Dienstvereinbarung setzen in jedem Fall die Mitbestimmungsrechte zu den Inhalten der nicht mehr gültigen Dienstvereinbarung wieder ein.

15 Dienstvereinbarungen kommen durch Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen zustande. Auf Seiten des PR setzt dies einen Beschluss des Gremiums voraus; falls erforderlich auch einen Gruppenbeschluss nach § 36 Abs. 2.

Absatz 2

16 Die Schriftform einer Dienstvereinbarung ist gesetzlich vorgeschrieben. Bei Nichteinhaltung der Schriftform ist eine Dienstvereinbarung nichtig (§ 125 Satz 1 BGB). Die in einer solchen Dienstvereinbarung geregelten Fälle aber können als Regelungsabrede- ohne normativen Charakter- für die Dienststellleitung und den PR gleichwohl verbindlich sein (OVG NW vom 24.10.91- CB 156/89-, n.v., bestätigt durch BVerwG vom 6.8.92- 6 PB 4.92- n.v.).

17 Dienstvereinbarungen sind durch die/den Vorsitzende/n des Personalrates und die Dienststellenleitung zu unterzeichnen.

18 Eine abgeschlossene Dienstvereinbarung ist in geeigneter Weise bekannt zu machen. Dies kann z.B. durch Aushang, Veröffentlichung in einem Mitteilungsblatt, Flugblatt, im Intranet geschehen. Die Bekanntgabe ist jedoch keine Wirkungsvoraussetzung.

Absatz 3

19 In der mehrstufigen Landesverwaltung können Dienstvereinbarungen auf unterschiedlichen Ebenen (untere, mittlere und oberste Dienstbehörde) abgeschlossen werden. Wird z.B. im Geschäftsbereich eines Ministeriums mit der obersten Dienstbehörde für den gesamten Geschäftsbereich eine Dienstvereinbarung abgeschlossen, so ist sie, bei gleichem Sachverhalt, vorrangig gegenüber Dienstvereinbarungen auf einer unteren Ebene. Hierbei muss es sich um eine positive Regelung (nicht um eine bloße Aufhebung einer Regelung) handeln. Unerheblich hierbei ist auch die Tatsache, dass eine Dienstvereinbarung für einen kleineren Bereich für die Beschäftigten günstiger ist.

20 Dienstvereinbarungen für einen größeren Bereich können allerdings Öffnungsklauseln zur konkreten Ausgestaltung für kleinere Bereiche beinhalten. Entsprechendes gilt für Dienstvereinbarungen zwischen Dienststellenleiter einer Gesamtdienststelle und dem GPR im Verhältnis zu Dienstvereinbarungen bei den verselbständigen Dienststellenteilen und der Hauptdienststelle.

Hinweis:

Aufbau einer Dienstvereinbarung

1. Parteien

Eine Dienstvereinbarung wird zwischen der Dienststellenleitung und der jeweilig zuständigen Personalvertretung abgeschlossen.

2. Persönlicher Geltungsbereich

Hier werden die Beschäftigten oder Beschäftigtengruppen aufgeführt, für die eine Dienstvereinbarung abgeschlossen werden soll.

3. Räumlicher Geltungsbereich

Anstelle der unter 2 aufgeführten Beschäftigten kann auch, hinsichtlich des Geltungsbereiches einer Dienstsvereinbarung, ein räumlicher Geltungsbereich (z.B. für das Jugendamt usw.) vereinbart werden.

4. Normativer Teil

Hier werden die zu regelten Tatbestände (z.B. Arbeitszeitregelung) aufgeführt.

5. Inkrafttreten/Laufzeit

Es muss geregelt werden, ab wann eine Dienstvereinbarung gilt und über welchen Zeitraum.

6. Kündigungsfristen

Mit welchem zeitlichen Vorlauf (Frist) und wann frühestens soll eine Dienstvereinbarung gekündigt werden? Ohne diese Regelung, ist von den beteiligten Parteien eine Dienstvereinbarung jederzeit kündbar. 7. Nachwirkungsklausel

Eine vereinbarte Nachwirkung sichert, dass mit Beendigung einer Dienstvereinbarung, deren normativen Inhalte bis zum Abschluss einer neuen weiter gelten.

8. Unterschriften

Eine Dienstvereinbarung ist von der Dienststellenleitung und dem Personalratsvorsitzenden zu unterzeichnen.

 
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